(Detroit / USA) – „Die Nachfrage nach grünem Stahl steigt weltweit, allen voran bei den europäischen Automobilherstellern“, erkennt das Institut für Energiewirtschaft und Finanzanalyse (IEEFA). Es kommt im Rahmen einer neuen Studie zu dem Ergebnis, dass die Region „Middle East and North Africa“ (MENA) mit Investitionen in grünen Wasserstoff und erneuerbare Energien „Vorreiter bei der weltweiten Dekarbonisierung der Stahlindustrie“ sein kann, so die Denkfabrik, die sich mit Fragen des weltweiten Energiesektors befasst. Das Mittel der Wahl: Direktreduktion (DRI) von Eisenerz mit grünem Wasserstoff.

Direktreduktion von Eisenerz

Bei der traditionellen Stahlerzeugung wird dem Eisenerz mit Hilfe von Kohlenstoff und Koks in einem Hochofen der Sauerstoff entzogen (Reduktionsprozess). Das Roheisen, das aus dem Hochofen abgestochen wird, ist flüssig und wird am Ende des Prozesses als Barren ausgegossen.

Die emissionsärmere Direktreduktion von Eisen geschieht demgegenüber mittels Gas – bestenfalls mit grünem Wasserstoff –  bei einer niedrigeren Temperatur, und es entsteht Eisenschwamm in Pelletform. Mehrere Eisenschwammpellets zusammengepresst erhalten eine Brikettform und werden in einem Elektrolichtbogenofen geschmolzen.

MENA nutzt bereits DRI-Verfahren

Im Jahr 2021 produzierten Unternehmen in der MENA-Region zwar nur drei Prozent des weltweiten Rohstahls, so die Analyse, aber fast 46 Prozent der weltweiten DRI-Produkte. Außerdem befänden sich dort einige der größten Eisenerzpelletieranlagen der Welt, sodass die Versorgung im Gegensatz zu anderen Regionen kein Hindernis darstelle.

Die MENA-Region von Marokko bis zum Iran. © UNICEF

„Die MENA-Region kann die Welt anführen, wenn sie im Stahlsektor umgehend auf erneuerbare Energien umsteigt „, sagt der Autor des Berichts Soroush Basirat. MENA verfüge über ein „etabliertes Angebot an Eisenerz in DRI-Qualität“. Basirat zufolge könnte das DRI-Verfahren, bei dem derzeit Synthesegas aus Erdgas oder vergaster Kohle genutzt wird, emissionsfrei sein, wenn stattdessen grüner Wasserstoff und mit Ökostrom betriebene Lichtbogenöfen eingesetzt würden.

„Das Wissen der MENA-Länder über diese spezielle Art der Stahlherstellung ist ein unschätzbarer Vorteil.“ Im Vergleich zu anderen Regionen bedeute dies, dass keine zusätzlichen Kosten für den Ersatz der Basistechnologie anfielen. Alle neuen Investitionen könnten auf den Ausbau der Produktion von grünem Wasserstoff und anderen erneuerbaren Energien konzentriert werden, so das Institut.

Stahlkonzerne arbeiten weltweit am DRI-Verfahren

Die Stahlindustrie verursacht acht bis elf Prozent der globalen CO2-Emissionen. Nach Angaben des Branchenverbandes Worldsteel Association sind 2021 weltweit 1,95 Milliarden Tonnen Stahl produziert worden, angeführt von China mit knapp 1,04 Milliarden Tonnen. Mit großem Abstand folgen Indien (118 Millionen Tonnen), Japan (96 Millionen Tonnen) und die USA (85 Millionen Tonnen). Die Produktion in Deutschland lag im vergangenen Jahr bei 40 Millionen Tonnen.

Die globale Stahlindustrie arbeitet – teils seit Jahren – an der Umstellung ihrer Produktion auf direkt reduziertes Eisen, um die Emissionen zu reduzieren, viele von ihnen auch daran, das DRI-Verfahren auf Wasserstoffbasis in die Prozesse zu integrieren. Beispiele:

  • Der in Luxemburg ansässige Stahlkonzern ArcelorMittal S.A. will seine CO2-Emissionen bis 2030 in Europa um 30 Prozent senken und bis 2050 klimaneutral produzieren. In Deutschland betreibt der Konzern in Hamburg ein Werk mit DRI-Anlage und Lichtbogenofen, bei dem die Umstellung auf den Einsatz von Wasserstoff vorbereitet wird. In Bremen und Eisenhüttenstadt wurden die Hochöfen so umgerüstet, dass sie zunächst mit Erdgas und später mit klimaneutralem Wasserstoff nutzbar sind.
  • Der Ölmulti BP und der Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel Europa AG wollen die Umstellung der Stahlherstellung auf erneuerbare Energien und kohlenstoffarmen Wasserstoff vorantreiben. Die Unternehmen prüfen die Möglichkeiten einer Versorgung mit blauem und grünem Wasserstoff sowie mit Strom aus Wind- und Sonnenenergie in Form von Stromabnahmeverträgen. Thyssenkrupp Steel produziert gegenwärtig elf Millionen Tonnen Rohstahl pro Jahr. Bis 2025 sollen davon 400.000 Tonnen CO2-reduziert hergestellt werden.
  • Die Salzgitter AG weist in ihrem Geschäftsbericht 2021 ein Produktionsvolumen von gut 6,7 Millionen Tonnen aus. Der Konzern aus Niedersachsen arbeitet in seinem SALCOS (Salzgitter Low CO2-Steelmaking) genannten Vorhaben daran, künftig ebenfalls Rohstahl mittels grünen Wasserstoffs und Direktreduktion herzustellen. Als Produktionsstart wurde zuletzt „Ende 2025″ genannt. Einen Teil des grünen Stroms sollen unter anderem neu errichtete Windkraftanlagen auf dem Firmengelände liefern.
  • Der australische Stahlhersteller Blue Scope Steel Ltd. und Shell Energy Operations Pty Ltd planen gemeinsam Projekte für erneuerbaren Wasserstoff im Blue Scope-Stahlwerk Port Kembla in der Region Illawarra im Bundesstaat New South Wales. Das erste Pilotpojekt umfasst die Entwicklung, den Bau und Betrieb eines 10-Megawatt-Elektrolyseurs, um die Verwendung von grünem Wasserstoff im Hochofen zur emissionsarmen Stahlerzeugung zu testen.
  • Der spanische Energieversorger Iberdrola SA und der schwedische Stahlhersteller H2 Green Steel AB (H2GS) haben im Dezember 2021 den Bau eines grünen Wasserstoffwerks mit einer installierten Leistung von 1.000 Megawatt vereinbart. Die Investitionen belaufen sich den Schätzungen zufolge auf 2,3 Milliarden Euro. Der Brennstoff wird eine Anlage zur Direktreduktion von Eisenerz zur Produktion von Rohstahl mit einer Kapazität von rund zwei Millionen Tonnen pro Jahr betreiben.
  • Der Stahlhersteller SSAB, der Eisenerz-Bergbaukonzern LKAB und der schwedische Staatskonzern Vattenfall SE hatten 2016 das Joint Venture Hybrit Development gegründet. Damit wollen die Unternehmen eine vollständig fossilfreie Wertschöpfungskette von der Mine bis zum fertigen Stahl schaffen und die neue Technologie einführen, bei der Wasserstoff nach dem Verfahren der Direktreduktion anstelle von Kohle und Koks verwendet werden. Im Jahr 2026 soll fossilfreier Stahl im industriellen Maßstab auf den Markt kommen. Die Produktionsanlage entsteht im nordschwedischen Gällivare. Die Wahl des Standorts basiert insbesondere auf der Nähe zu den Eisenerzminen, vorhandener Logistik sowie dem Zugang zu fossilfreier Elektrizität.

Während weltweit die Stahlkocher also erst noch zeitintensiv die Infrastruktur für DRI-Produkte aufbauen, ließen sich in der MENA-Region anfänglich sofort 30 Prozent des bisher genutzten fossilen Gases in der bestehenden Flotte von DRI-Anlagen ohne größere Umbauten durch grünen Wasserstoff ersetzen, so die IEEFA-Studie. Danach könnte die Region alsbald „100 Prozent kohlenstofffreien Stahl produzieren“. Die Länder Nordafrikas und des Mittleren Ostens verfügten nämlich bereits „über hervorragende Solarressourcen“ zur Produktion von grünem Wasserstoff.

Das Solarstrompotenzial der MENA-Region liegt mit knapp fünf Kilowattstunden pro Kilowatt installierter Leistung pro Tag deutlich vor anderen Weltregionen. © Weltbank / IEEFA

Der Studie zufolge liegen die Kosten für die Wasserstofferzeugung durch Elektrolyse in den Ländern des Nahen Ostens derzeit niedriger als die für blauen Wasserstoff. So kostete die Produktion von einem Kilogramm grünen Wasserstoffs in Katar 2,59 Dollar, in Saudi-Arabien 3,20 Dollar, im Oman 3,55 Dollar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten 5,14 Dollar. Demgegenüber beträgt der Preis für blauen Wasserstoff, der durch die Kombination von Methandampfreformierung und Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) erzeugt wird, im Nahen Osten etwa sieben Dollar pro Kilogramm, heißt es in der Analyse (alle Zahlen Stand Juli 2022).

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ArcelorMittal-Werk in Bremen / © ArcelorMittal Germany Holding GmbH

Die Studie Green Steel Opportunity in the Middle East and North Africa“ gibt es kostenfrei als PDF (26 Seiten)